„Wir müssen sensibler werden für die Bedürfnisse von Kindern und Vätern“
Rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz besuchten den zweiten wissenschaftlichen Männerkongress an der Heinrich-Heine-Universität. Zwei Tage lang beschäftigten sie sich unter dem Motto „Scheiden tut weh“ mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Trennung und Scheidung auf Jungen und Väter. Ziel der Tagung war es, dazu beizutragen, die Beteiligung auch der Väter an elterlichen Scheidungs- und Trennungskonflikten und die damit oft verbundenen leidvollen Folgen auch für die betroffenen Kinder in Wissenschaft, Öffentlichkeit und helfenden Berufen wieder in den Mittelpunkt zu rücken.
Die TeilnehmerInnen verabschiedeten folgende Thesen mit Forderungen auch an die Politik:
- Um den Bedürfnissen aller Betroffenen eines Trennungskonfliktes gerecht zu werden, sind ideologiefreie Hilfen in staatlich finanzierten Konfliktberatungsstellen für Kinder, Männer und Frauen notwendig.
- Die politische Dimension der derzeitigen „Vaterentwertung“ sollte in den Blick genommen werden.
- Die deutlich erhöhten gesundheitlichen Risiken von Jungen nach der elterlichen Trennung müssen thematisiert, wirkungsvolle Instrumente für ihre Behandlung entwickelt werden. Hierbei sind bei der Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten psychotherapeutische und psychosoziale Unterstützungsangebote einer medikamentösen Behandlung vorzuziehen.
- In Schulen und Kindertageseinrichtungen sollten mehr Männer eingestellt werden. Da Jungen besonders unter der Diskontinuitätserfahrung in der Primärfamilie leiden, sollten wenigstens in Schule und Kindergarten intensive Wertschätzung und Unterstützung sowie Beziehungs- und Identifikationserfahrungen mit „sozialen Vätern“ möglich sein.
- Um Trennungsfolgen angemessen zu bewerten, sollte man Vater-Mutter-Kind(er)-Familien, Einelternfamilien und Patchwork-Familien unvoreingenommen daraufhin untersuchen, was sie jeweils sowohl zur Entstehung der Trennungsproblematik wie zu ihrer Lösung beitragen. Dabei müssen die Erfahrungen und Bedürfnisse der Kinder und vor allem die Unterstützung elterlicher Kompetenzen und Ressourcen stärker beachtet werden als normative Konzepte.
- Eltern sollten vom Staat mehr Zeit und Geld für die Erziehung ihrer Kinder einfordern. Gerade unter den verunsichern-den Bedingungen einer Trennung sollte die haltgebende Präsenz der primären Bindungspersonen – Mutter und Vater – erhalten bleiben.
- Die Gesetzgebung hat im Bereich Trennung/Scheidung für die beteiligten Professionen einen veränderten Auftrag formuliert: Es geht nicht mehr darum, den besser geeigneten Elternteil zu finden, sondern darum, die kindliche Beziehung zu beiden Eltern zu erhalten. Diese Umorientierung wird vom Gesetzgeber in Bezug auf die Rechte nicht-ehelicher Väter und von vielen Familiengerichten bei Konflikten in der Beziehungsgestaltung des Kindes zum nicht betreuenden Elternteil noch nicht konsequent eingelöst. Dadurch entsteht bei hoch-strittigen Eltern ein Spielraum für lang anhaltende Auseinandersetzungen mit jeweils offenem Ausgang.
- In behördlichen und gerichtlichen Verfahren muss eine geeignete unabhängige Vertretung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen ermöglicht werden.
- Im Kontext von Trennung und Scheidung besteht häufig eine Benachteiligung von Vätern. Das führt immer wieder zu einem Zustand „psychologischer Ungleichheit“ im Rahmen „rechtlicher Gleichheit“, den verstärkt Männer aushalten müssen. Der daraus resultierende Elternstreit ist der mit Abstand größte Belastungsfaktor für Trennungskinder.
- Hochstrittige Eltern stellen deshalb die Beratungsdienste vor neue Herausforderungen. Dieses Phänomen gilt es zu verstehen, angemessene Haltungen und Interventionsformen müssen entwickelt werden. Paare in hochstrittigen Trennungenssituationen sollten intensiv auf ihre gemeinsame elterliche Verantwortung aufmerksam gemacht und zur Annahme von Mediations-Beratungs- und Therapieangeboten motiviert werden.
- Das „Wechselmodell“ bietet den besten Rahmen im Interesse einer spannungsarmen Nachtrennungsfamilie. Deshalb muss frühestmögliche (psychologische) Parität zwischen Müttern und Vätern hergestellt werden. Das betrifft Betreuung, Versorgung und Lebensmittelpunkt der Kinder. Dafür. Dahin zu gelangen, verlangt ein lösungsorientiertes Vorgehen auf allen professionellen Ebenen, Begutachtung eingeschlossen.
- Angesichts der demografischen Trends müssen die Trennungsfolgenforschung in Deutschland intensiver betrieben und existierende praxistaugliche Unterstützungsprogramme (Elterntrainings, Interventionen für Kinder) müssen für alle Betroffenen breitenwirksam angeboten werden.
- Jede frühe Hilfe ist wirksamer und kostengünstiger als jede späte Hilfe.
- Unsere Städte sind so arm, dass wir uns nicht leisten können auf Prävention und frühe Hilfen zu verzichten.
Im Fokus des zweiten wissenschaftlichen Männerkongresses stand die Diskussion über die Ursachen und Folgen konflikthafter Trennungen besonders aus Sicht der betroffenen Männer und Jungen. Ziel war es, die Fakten zu klären, Risiken aber auch Chancen zu benennen und Perspektiven zur Verständigung und Konfliktlösung in den Blick zu nehmen. Die Beteiligung beider Partner an Scheidungs- und Trennungskonflikten wurde in den Mittelpunkt gerückt, um so aus der stereotypen Aufteilung in Opfer und Täter einer Trennung herauszufinden.
Der Veranstalter der Tagung, Prof. Dr. Matthias Franz, erklärte abschließend: „Das Ende jeder Liebesbeziehung und die Trennung ist für alle Betroffenen ein schmerzliches Ereignis. Nicht selten rührt es an den Kern der eigenen Identität und führt zu heftigsten emotionalen Erschütterungen. Für mitbetroffene Kinder und besonders die Jungen ist die elterliche Trennung mit tiefgreifenden Verunsicherungen und erheblichen Entwicklungsrisiken verbunden. Wenn sie hochstrittig abläuft kommt das im Erleben vieler – besonders noch kleiner - Kinder einem Weltuntergang gleich. Wir brauchen deshalb mehr Sensibilität für das Erleben dieser Kinder.“ Und fügte selbstkritisch hinzu: „Auch wir Ärzte und Psychotherapeuten müssen sich verschließenden Männern in Trennungssituationen mit größerer Aufmerksamkeit und Hilfsangeboten begegnen.“